Nachhaltigkeit im Fokus
Rolf Schwery, Gründer und Geschäftsführer von acting responsibly, gibt im Interview einen Einblick in eine nachhaltigere Zukunft. Mehr lesen
Gabriel Gimber sieht sich als Astronaut im visuellen Kosmos und als Punk, wenn es um Stage-Design geht. Er gehört zu den kreativsten und innovativsten Visual und Motion-Designern der Schweiz. Künstliche Intelligenz beschäftigt ihn deshalb schon seit geraumer Zeit. Zusammen mit angelini design hat er 2023 Stagepunks gegründet: ein kreatives Kollektiv, das sich auf KI-generierte Welten für Bühnendesign und Eventarchitektur spezialisiert hat.
Im Gespräch gibt er uns einen Einblick, was ihn dabei beschäftigt und wie diese technologische Revolution unsere Designwelt verändern wird.
Eindeutig! Die Technologie ist tiefgreifend, und sie wird uns noch vielschichtig beschäftigen. Der Begriff «künstliche Intelligenz» wurde ja 1956 von John McCarthy, einem amerikanischen Informatiker, geprägt. Dies markierte den Beginn der modernen KI-Forschung. KI-generierte Bilder von fiktiven Menschen wurden bereits 2017 veröffentlicht und waren damals qualitativ schon sehr beeindruckend.
Aktuell ist KI in Designprozessen eine erweiternde Komponente, die jedoch nicht alles vereinfacht. Im Gegenteil: In visuellen Kreativprozessen der KI einfach nur mal was in die Tasten zu hauen, ergibt einen Overflow an Inputs. Die Resultate bildgebender KIs sehen beeindruckend aus, ergeben aber nicht immer Sinn. Aber sie können sehr befruchten, weil in einem Bild manchmal ein Detail entsteht, das die Gedanken in eine andere Richtung lenkt.
Dass Kreativität wegdelegiert wird, sehe ich vorläufig (noch) nicht. Was aber gerade geschieht ist ein bekanntes Muster, das sich erneut wiederholt: die Demokratisierung von Software. Jeder und jede hat nun die Möglichkeit, Designer zu sein, zumindest was die visuellen Outputs betrifft. Diesen Prozess hatten wir schon bei der Fotografie. Im Umkehrschluss heisst das aber nicht, dass auch jeder ein Designer ist. Was ebenfalls auffällt, wenn man sich in diesem KI-Umfeld bewegt, ist der Overflow an Bildern, die sich dann schnell erschöpfen. Insofern ist Design immer noch ein sehr persönlicher Prozess mit einer vertieften Auseinandersetzung zum Projekt und KI ein Werkzeug dazu.
Grundsätzlich sehe ich grosses Potenzial. Denn wir stehen in einem dynamischen Prozess, der sich exponentiell entwickelt. Denken wir nur an den Bereich Video, hier sind die Fortschritte in den letzten 12 Monaten immens und hochgradig disruptiv. Die ganze Content-Softwarebranche steht enorm unter Druck. Benötige ich für eine Videoproduktion einen Clip einer Blumenwiese, kreiere ich das in Midjourney und animiere in Runway – ohne Bildagentur und zu viel niedrigeren Kosten. Niemand merkt, dass der Clip von einer KI erstellt wurde, was natürlich Manipulation ermöglicht. Kürzlich bin ich auf Facebook einem Post begegnet, einem Bild einer Löwenfamilie, die auf einem Baum in der Savanne Siesta machte, so eine herzerwärmende Szene mit Löwin und drei Löwenkindern. 7.4T Likes, rund 270 Kommentare. Schaut man sich diese alle an, stellt man fest, dass ca. 95% der Kommentierenden denken, es handle sich dabei um ein echtes Foto. Und möglicherweise sind von diesen 270 Kommentaren noch 50% von Bots generiert. Laut der Cybersecurity-Firma Arkose Labs werden 75 % des weltweiten Internet-Traffics von Bots generiert. Fakt ist: Wir leben in einer Illusion, in der Fakes unsere Emotionen manipulieren und KI die Büchse der Pandora öffnet.
Bei bildgebender KI sind es Midjourney, Stable Diffusion, Adobe Firefly und DALL-E 3. Im Bereich Video haben Gen-3 von Runway, Sora von OpenAI und Google DeepMind mit Veo die Messlatte ziemlich hoch gelegt. Die grossen Marktplayer – OpenAI, Adobe, Google, Microsoft, X, Apple und die Chinesen – ringen alle um die Vorherrschaft und überbieten sich permanent mit neuen Entwicklungen. Es geht da um einen Multimilliarden-Markt. Einzig die EU hinkt hinterher und hat mit dem Digital Markets Act den Datenschutz ins Zentrum gestellt, was nun dazu führt, dass die EU und damit je nach Fall auch die Schweiz den Kürzeren ziehen. So werden uns z.B. neue Erweiterungen bei ChatGPT vorenthalten. Das ist für Wirtschaft und Industrie in diesem kompetitiven Wettbewerb ein erheblicher Nachteil.
Eine Prognose abzugeben ist derzeit schwierig. Viele Akteurinnen und Akteure richten ihre Aufmerksamkeit auf AGI, Artificial General Intelligence, die Superintelligenz, die uns überlegen sein soll. Ein spekulatives Beispiel könnte so aussehen: Die KI eines Kunden meldet sich mit einem Projekt, einer Eventbühne, bei der KI von Messerli. AGI kreiert dann Skizzen und Vorschläge, von 3D-Designs über Kostenberechnungen bis hin zu Terminkalkulation und Lager- und Personalbewirtschaftung. Leiten wir nun daraus ab, dass dies völlig unmöglich sein wird oder absolut realistisch? Solche Szenarien beflügeln zwar unsere Fantasie, der Weg dahin wird aber ein iterativer Prozess sein.
Die Bandbreite der aktuellen Entwicklungen zeigt deutlich, wohin die Reise gehen wird. Beispiel Arzneimittelforschung: AlphaFold 3 von Google DeepMind ist ein Quantensprung bei der Vorhersage von Interaktionen zwischen Molekülen in der Biologie. Das Spektrum des KI-Impacts ist ja enorm breit: Der ganze Bereich Customer Services, dann Reisen, Versicherungen, Banken, der Staat etc. — überall ist jetzt schon KI drin. Für viele Jobs wird das zu einer echten Bedrohung.
KI hat grosses Potenzial, Kundenbedürfnisse sehr gut zu verstehen, weil sie grosse Mengen an Daten analysieren und daraus Muster erkennen kann. So können Algorithmen aus Kaufverhalten, Suchanfragen und Interaktionen präzise Vorhersagen treffen. Allerdings kann ein Mensch subtile emotionale Nuancen wahrnehmen und darauf reagieren, während KI in erster Linie auf Daten angewiesen ist. Es gibt jedoch bereits KI-Systeme, die mit Kameras jede Emotion in deinem Gesicht analysieren können. Man stelle sich vor, welche Bedeutung das hat, wenn du in einem Webshop bist und man auf der Produktseite die Emotionen in deinem Gesicht lesen kann. Da hilft dann nur noch das Abdecken der Kamera.
Microsoft hat es gerade vorgemacht mit dem Screenshot-Feature «Recall», bei dem die KI im Betriebssystem alle fünf Sekunden einen Screenshot deines Bildschirms macht. Der Zweck ist, dass du auf deinem PC alles jederzeit wiederfinden kannst. Der Shitstorm gegen Microsoft war heftig. Der Punkt war, dass das Feature standardmässig aktiviert war. Weil der öffentliche Druck zu gross wurde, kann man das nun selbst zulassen, wenn man es will. Bei der ganzen KI-Geschichte geht es um einen einzigen Begriff: Vertrauen!
Haben wir uns doch lange Zeit über lustige Texte in Spam-Mails erfreut so sind wir einer aktuelle KI-SPAM-Welle ausgesetzt, die „Vertrauen“ doch arg strapaziert – perfektes Deutsch, perfektes Layout, perfektes Timing! Das birgt für Unternehmen aber auch Privatpersonen erhebliche Risiken.
Die grosse Frage ist: Werden die Geschäftsmodelle der grossen Player profitabel? Derzeit herrscht viel Unsicherheit. Welche Tools werden sich bewähren? Welche bleiben im Markt und entwickeln sich weiter? Noch schreibt niemand schwarze Zahlen, und aktuell spricht der Risikokapitalgeber Sequoia Capital bereits von einer KI-Blase, die platzen könnte. Milliarden wurden in Geschäftsmodelle investiert, die noch völlig diffus sind. Sicher ist, dass sich die Spreu vom Weizen trennen wird, was dazu führt, dass nur die ganz Grossen überleben werden, wie z. B. OpenAI.
Meine Prognose: Die Kreativbranche wird sich fundamental ändern. Dabei geht es weniger um den Output, sondern vielmehr um die KI-Werkzeuge, die uns zur Verfügung stehen werden. Workflows werden sich drastisch verändern, was wiederum die Erwartungen der Kundinnen und Kunden beeinflussen wird. Diese disruptive Transformation wird nicht ohne Blessuren vonstattengehen. Die grossen Player wie Adobe werden überleben, aber viele kleinere Unternehmen und individuelle Kreativprofis könnten Schwierigkeiten haben, sich anzupassen.
… auf den Kopf gestellt haben. Ich denke nicht an den Terminator, der uns auslöschen will. Xiaomi hat nahe Beijing dieses Jahr eine Fabrik eröffnet, in der keine Menschen arbeiten, die von einer KI gesteuert wird und die alle drei Sekunden ein fertig produziertes Mobile auswirft. Die KI erkennt Probleme in der Produktion und entwickelt dazu eigenständig Lösungen, die sie implementiert. Im Control-Room sitzen noch etwa zehn Leute. Jetzt können wir uns fragen, ob es in zehn Jahren in der Schweiz die KV-Lehre noch geben wird.
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!
Gabriel Gimber ist seit 20 Jahren als CGI-Artist mit seiner Firma gimber.ch in der virtuellen Welt unterwegs. Der gelernte Goldschmied war auch zehn Jahre lang Redakteur und Nachrichtensprecher bei einem Privatradio. Mit Carlo Angelini hat er letztes Jahr Stagepunks initiiert, eine Plattform, die sich auf KI-Bühnendesign spezialisiert hat.